The Substance (2024) | Film, Trailer, Kritik (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Fight gegen sich selbst

Ein Body-Horror-Film einer jungen französischen Regisseurin mit Demi Moore, deren Karriere sich gerade spürbar ihrem Ende entgegen zu neigen schien, in der Hauptrolle? Ganz gewiss sorgte die Ankündigung, dass Coralie Fargeats neuer Film in Cannes im Wettbewerb laufen würde, für einiges an Aufsehen. Um es vorwegzunehmen: Auch nach der Uraufführung sollten die Gespräche über den Film nicht verstummen, der eines der heißen Gesprächsthemen des Jahrgangs 2024 in Cannes war.

Das lag zum einen sicherlich auch am Auftritt von Demi Moore, die hier letztendlich ihr eigenes Schicksal als Schauspielerin jenseits der magischen Grenze von 50 nachspielt und auf die Spitze treibt. In The Substance verkörpert sie den Filmstar Elisabeth Sparkle, deren Ruhm ebenso bröckelt wie der ihr gewidmete Stern auf dem Walk of Fame. Dessen Installation und feierlicher Einweihung folgen in einer schnellen Montagesequenz die zunehmende Achtlosigkeit der Passant*innen, das Beschmutzwerden durch heruntergefallene Lebensmittel und die ersten Risse und Abnutzungserscheinungen, die auch den Niedergang des Stars zeigen, ohne dass wir diesen bis zu diesem Moment je selbst zu Gesicht bekommen hätten.

Noch macht Elisabeth zu diesem spürbaren Verblassen der eigenen Karriere gute Miene, noch ist sie mit einer Fitness-Sendung, die an Jane Fondas Aerobic-Ruhm erinnert, der Star eines Cable Network, doch ihr koksender Produzent Harvey (Dennis Quaid) giert nach höherer Quote und jüngerem Kamerafutter, mit dem die sinkenden Zuschauerzahlen in neue Höhen getrieben werden sollen. Und so wird Elisabeth kurzerhand gefeuert und ein Casting angesetzt als Ersatz für den bisherigen Star.

In ihrer Verzweiflung erinnert sich Elisabeth an die Verheißungen eines anonym beworbenen Produkts, das Abhilfe für ihre Probleme schaffen soll: Das Wundermittel „The Substance“ verspricht die Erschaffung eines neuen, jüngeren Ichs als Double — allerdings verbunden mit der Einschränkung, dass diese jüngere Version immer nur sieben Tage lang einsatzfähig ist und dann eine weitere Woche zur Regeneration braucht. Das gruselige Experiment gelingt, Elisabeth gebiert aus ihrem Rückgrat eine jüngere Version namens Sue (Margaret Qualley), die tatsächlich beim Casting alle Konkurrentinnen schlägt und Elisabeths Platz einnimmt. Doch Sue entwickelt bald schon den Drang, die Dauer ihres Daseins über die sieben Tage hinaus zu verlängern. Ihr Egoismus bringt die fein austarierte Balance gehörig ins Wanken. Denn für jeden Tag, den sie von Elisabeths Leben für sich selbst abzweigt, altert jene um Jahre. Und so beginnt ein erbarmungsloser Kampf der beiden Ichs um die Vorherrschaft, um Ruhm und Ehre, ums reine Überleben und ein Bezwingen des Unaufhaltsamen.

Den inoffiziellen Titel „Most walked-out film of the festival“ hat sich The Substance in Cannes redlich verdient, wobei man normalerweise solche Filme an der Croisette nur mit dem Label „Directed by David Cronenberg“ oder bei den sogenannten Midnight Screenings für schrägere und abseitigere Filme zu sehen bekommt. Spätestens seit 2021 und dem Gewinn der Goldenen Palme für Julia Ducournaus Titane ist hier aber zum Glück etwas in Bewegung geraten. Während die Filme des großen Meisters des Body Horror David Cronenberg immer mehr an Biss und Stringenz verlieren, eigenen sich vor allem jüngere Regisseurinnen das Subgenre an und bespielen damit zunehmend Topoi, die vor allem Mädchen und Frauen betreffen. Jennifer Reeders Perpetrator, der malaysische Tiger Stripes von Amanda Nell Eu, Mimi Caves schmählich übersehener Fresh und natürlich Ducournaus Raw sowie Fargeats Revenge verdeutlichen, dass Körperdekonstruktionen längst nicht mehr eine männliche Domäne im Kino sind. Wie Fargeat es selbst in einem Interview mit dem Fachmagazin Variety auf den Punkt bringt, ist Body Horror für sie das ideale Vehikel, um auf diese Weise filmisch über all die Gewalt zu reflektieren, denen Frauen in der Realität ausgesetzt sind.

Coralie Fargeats rüde und umso wirkungsvollere Erkundung braucht den Vergleich mit den erwähnten Vorbildern nicht zu scheuen. Mit großer Lust am grauslichen Detail und an den Deformationen sowie grotesken Wandlungen alternder Körper, die der Film in immer neuen Metamorphosen auf die Spitzen treibt, bedient sie einerseits die Schaulust eines genreaffinen Publikums. Andererseits seziert sie mit grobem Skalpell die grausamen Mechanismen des neoliberal geprägten Showbusiness, das Menschen gnadenlos nach menschenverachtenden Kriterien wie Bildschirmpräsenz und „Fuckability“ einsaugt, verdaut und wieder ausscheidet. Wer mag, kann darin einen bitteren bis harschen Kommentar auf das reale Leben sehen — sicherlich sind die Parallelen diesbezüglich nicht ganz zufällig.

(Gesehen auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2024)

Einst war Elisabeth eine gefeierte Schauspielerin. Jetzt reicht es nicht mal mehr für eine eigene Fitness-Sendung. Sie sei zu alt, heißt es. Da kommt ihr ein spezielles Mittel ganz recht, mit dem sie ein neues jüngeres Ich namens Sue erschafft. Der Haken an der Sache: Die beiden Versionen teilen sich die Lebenszeit – und Sue hält nicht sehr viel vom Teilen. (Quelle: FilmfestMünchen)

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Author: Annamae Dooley

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