Das war sicherlich einer der ekligsten und brutalsten Filme, den wir je gesehen haben, und das, obwohl wir uns so ziemlich alles anschauen, was an Body Horror ins Kino kommt. Coralie Fargeats The Substance endet mit einer Freakshow der überaus drastischen Art. Anstelle der süßen, gut gelaunten jungen Moderatorin tritt ein deformierter, verstümmelter, schleimiger und wabernder Körper auf die Bühne, um die große Neujahrsshow im Fernsehen zu moderieren. Mit Brüsten, die aus der Hüfte hängen und einem Gebiss, das im Bauchnabel feststeckt. Die glitzernden Ohrringe baumeln irgendwo am Hinterkopf, da, wo sie sich am besten im Fleisch versenken lassen. Kurz bevor diese Personifikation des Monströs-Weiblichen auftritt, wird der fast kahle Kopf einer alten Frau so lange gegen den Spiegel geschlagen, bis kein Gesicht mehr zu erkennen ist. Die Tonspur unterlegt jeden Schlag mit einem dumpfen kalten Knall, so dass man sich den Aufprall auch vorstellen muss, wenn man die Augen schließt. Es wird berichtet, dass Zuschauer:innen das Kino verlassen haben; sie hielten die Bilder nichtaus.
Die Bilder bleiben. Sie zu beschreiben ist schwierig, es gibt für Unformen kaum Wörter. Die Wucht dieser viszeralen visuellen Inszenierung hat auch damit zu tun, dass die monströsen Fleischwucherungen in eine perfekte kalifornische Kulisse einbrechen: Elisabeth Sparkle, gespielt von Demi Moore, zuerst Hollywood Star, später Star des US-amerikanischen Aerobic-Fernsehens, ist gerade 50 geworden und soll durch eine Jüngere ersetzt werden. Sie tanzte jahrelang fürs Frühstücksfernsehen, assistiert von den Hintern und Oberschenkeln jüngerer Schauspielerinnen und Tänzerinnen, die allesamt aus einem unsterblichen Hightech-Material gemacht zu sein scheinen.
Still aus dem offiziellen Trailer: Elisabeths Appartement
Als Sparkle vom Studioboss Harvey, verkörpert von Dennis Quaid, bei einem gemeinsamen Essen beiläufig darüber informiert wird, dass sie durch eine Jüngere ersetzt werden soll, ist sie verzweifelt. Aber nicht lange. Sie greift nach einem Strohhalm, der sich ihr bei nächster Gelegenheit bietet – und der dem Film einen dystopischen Twist verleiht: Als sie nach einem heftigen Unfall einen Arzt aufsucht, gibt ihr der Assistent, ein Leni-Riefenstahl-Jüngling mit stahlblauen Augen, einen USB-Stick mit der Aufschrift „The Substance“. Dahinter verbirgt sich ein leuchtend gelbes Serum, vertrieben von einem anonymen Anbieter, das eine jüngere Variante des eigenen Selbst verspricht.
Geburt
Im Unterschied zu digitalen Dystopien – wie etwa The Matrix (Lana und Lilly Wachowski, 1999) – gehört Fargeats Film zum Genre des Bio- und Bodyhorrors. Nicht cleane Codes setzen den Alptraum in Gang, sondern die leuchtend gelbe Flüssigkeit, die durch Schläuche und Spritzen brachial injiziert werden muss. Wer sich auf das Versprechen der Substanz einlassen will – „a better version of yourself“ zu kreieren, womit ausschließlich eine jüngere, einem stereotypen Schönheitsideal entsprechende Doppelgängerin gemeint ist –, muss bereit sein zu leiden. Die Spritze in die eigene Vene, die Infusion, mit der die Substanz zugeführt wird, ist dabei nur der Anfang, der zu einer unaufhaltsamen Steigerung führt: der Geburt des „besseren Selbst“.
Es ist diese Geburt, die den Bodyhorror unaufhaltsam einleitet und die auch selbst schon Bodyhorror ist. Das liegt nicht nur daran, dass wir es nicht gewohnt sind, Geburten im Film zu sehen. Geburten gehören in Film und Literatur überhaupt zu den am wenigsten erzählten und gezeigten Ereignissen. Vielmehr wird diese Geburt brutal und maximal verfremdet gezeigt, denn der junge Körper verlässt den alten an der ‚falschen‘ Stelle. Sparkle drückt ihre bessere Version nicht etwa durch die Vagina, sondern bringt sie am Rückgrat vorbei zur Welt. Anders als Alexia, die Protagonistin von Julia Ducournaus gefeiertem Bodyhorrorfilm Titane (2021), die ein Cyborg-Wesen, halb Mensch, halb Automobil, mit einer „natürlichen“ Geburt auf die Welt bringt, trägt die Rückengeburt bei Fargeat nichts zu einer „menschlicheren“ Idee des Zusammenlebens zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen in einer queeren Zukunft bei.Sparkle gebiert nur Sparkle, bzw. Sue, wie sich die jüngere Version nennen wird.
Die autoperformative Fortpflanzung reproduziert nicht nur Sparkle als Sue, sondern auch überkommene Vorstellungen über Weiblichkeit in jüngeren Körpern. Die Substance ist wohl – so unsere These – nichts anderes als der Samen des Patriarchats, eine Geburtsversion jenes Systems, in dem weibliche Jugend hofiert und weibliches Alter versteckt wird (gilt übrigens auch für Männer, auch sie haben „Substance“ bestellt).
Still aus „The Substance“: der zugenähte Rücken nach der Geburt.
Während Plato in der Antike die Geburt in den Kopf verlegte, um die Entstehung der Philosophie als Hebammenkunst darstellen zu können, beginnt mit dieser Geburt im Film nichts Neues. Die Substance garantiert nur die ewige Reproduktion des Systems. Denn die Geburt der jüngeren Version gibt es nur zum Preis eines komatösen Schlafes der alten, und dies jeweils für sieben Tage: ein Entweder-Oder von jung oder alt, ein ungleiches Gleichgewicht, das schließlich aus den Fugen gerät und den Bodyhorror zwischen Parasit (jung) und Wirt (alt) eskaliert. Der Hinweis auf Oscar Wildes Erzählung „The Picture of Dorian Grey“ (1890) könnte deutlicher nicht sein. Kaum steht die junge Version – eine zur Kenntlichkeit verzerrte Männerfantasie, auf langen Beinen –, wird sie auch schon gegen ihr älteres Ich ausgespielt. So wendet sie sich mit aller Gewalt und ausschließlich gegen die ausgemusterte Version ihrer selbst, obwohl sie weiß, dass sie ohne sie als ihre nährende Matrix gar nicht existieren kann.
Ekel und/oder Horror
Selbst wenn man ab und zu mal wegschauen muss, zeigt sich im Film eine affektive Differenzierung zwischen Ekel und Horror: Der Ekel bezieht sich nicht auf den Zerfall des weiblichen Körpers, sondern auf die Monstrositäten des Patriarchats. Den ersten Ekelmoment provoziert Studioboss Harvey (Dennis Quaid), ein schmatzender, Garnelen schlürfender ebenfalls alternder Mann, gleich zu Beginn des Films. Die Kamera fährt ihm fast in den Mund – zwischen Spucke und zerkaute Weichtiere – und die Tonspur verstärkt erbarmungslos die Kaugeräusche.
Still aus „The Substance“. Studioboss Harvey isst Garnelen.
Der vor sich hin faulende Körper Elisabeths hingegen weckt keinen Ekel, sondern, ganz aristotelisch, Furcht und Mitleid. Hier zeigt sich der affektpoetische Clou des Films: Während der perfekte junge Körper in seiner Art, die Matrix zu kannibalisieren, bei den Zuschauer:innen denselben Ekel hervorruft wie der widerliche Studiochef beim Garnelenfressen, bekommt die leblos im Bad liegende und rasend die Wohnung verwüstende Elisabeth eine eigenartige Würde. Die perfekten Oberflächen werden als morbide, lebensfeindliche Produkte einer Gesellschaft ausgestellt, die weibliche Körper als Konsumgüter verarbeiten.
Es ist nicht das erste Mal, dass Coralie Fargeat eine junge Frau als Teil der glänzenden Oberfläche auf der Leinwand erscheinen lässt, hinter der sich der stinkende, faulende Abgrund patriarchaler Gewalt verbirgt. Ihr Erstling Revenge (2017), nicht zufällig im Jahr von #MeToo entstanden, arbeitet mit den Mitteln des Exploitationkinos, um zu zeigen, was das Patriarchat eigentlich produziert, wenn Schulmädchen zu Geliebten von skrupellosen Machos und zum Freiwild werden. Jennifer, die junge Frau, die vergewaltigt und beinahe ermordet wird, verwandelt sich in eine unbesiegbare Jägerin; der Schmerz und die Wut treiben sie bei ihrem Rachefeldzug an wie eineDroge.
Monströse Weiblichkeit
Auch Coralie Fargeats neuer Film zitiert im Minutentakt aus dem Kanon des Horrors: von Kubricks The Shining (das Teppichmuster im Flur des Fernsehstudios erinnert ans Overlook Hotel) bis zu Brian de Palmas Carrie mit der berühmten Blutdusche. Mit The Substance schreibt Fargeat jedoch die patriarchale Sicht des „monströsen Weiblichen“, wie es die feministische Filmwissenschaftlerin Barbara Creed genannt hat, in bereits bewährter feministischer Tradition um. Während der Body Horror des 20. Jahrhunderts noch die Bedrohung des Patriarchats im Fokus hatte und die männliche Angst vor der phallischen Frau inszenierte, arbeiten Regisseurinnen wie Claire Denis (Trouble Every Day, 2001) oder Julia Ducournau (Raw 2016, Titane 2021) mit dem vorhandenen Material, der Substanz des Kinos, und arrangieren esneu.
Doch im Unterschied zu Sparkle entsteht bei Fargeat durchaus etwas Neues, auch wenn der Film in alten Mustern gelesen wird: als Abrechnung mit Schönheitsidealen, als Kritik an ausrangierten Frauen über 50 oder als Studie über „die Hässlichkeit des Schönheitswahns“ und „weiblichen Selbsthass“. In dieser Logik zerstört sich Elisabeth/Sue selbst, weil sie sich nicht mehr genügt, weil sie zu alt ist, zu faltig.
Aber The Substance ist nicht einfach ein Film über Frauen im Showbiz, die in den Wechseljahren ausgemustert werden, sondern eine schonungslose Visualisierung des verinnerlichten Patriarchats, das sich immer wieder selbst hervorbringt. Es sind die Profiteur:innen des Systems, die es selbst am Laufen halten. Sue, die „bessere Version“, ist bereit, für diese Welt zu töten. Sie ist es, die die gebrechliche und schon unförmige Elisabeth brutal gegen den Spiegel schlägt und umbringt. In ihrem jungen Körper wütet die Substanz, die es sogar schafft, diejenigen, die sie am deutlichsten ausbeutet, zu ihren Verteidigerinnen zu machen.
Dass sich der Fernsehsender und auch das Fernsehpublikum am Schluss das Monster, das es selbst hervorbrachte, live anschauen muss, ist schon fast wieder komisch. Was man da auf der Bühne nach außen gekehrt sehen kann, so könnte man zusammenfassen, ist das, was wir verinnerlicht haben: die Substanz. So gesehen lässt sich die Fress-Szene mit dem Fernsehboss Harvey zu Beginn schon als Vorschau des kommenden Bodyhorrorslesen.
In seiner feministischen Kritik erinnert The Substance uns daran, dass Feminismus eine Kritik an der Verinnerlichung von Strukturen ist, die uns unterdrücken, selbst wenn wir zeitweise und oberflächlich von ihnen zu profitieren scheinen. Es sind auch Frauen, die diese Strukturen permanent reproduzieren.
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